Ein neuer Alltag…

Wir gewöhnen uns an die Dinge, die jetzt länger dauern oder gar nicht mehr gehen. Wir haben wenig Möglichkeiten in die Welt zu gehen… aber die Welt kommt zu uns. Wir empfinden es als ein Abenteuer, einen kleinen Ausflug mit dem Auto zu machen und in ein Cafe zu gehen oder es im Hinterhaus bis in das zweite Stockwerk zu schaffen, um da zwei Stunden mit Musik am Feuer zu kuscheln. Wenn Dinge nicht so gut klappen, erkennen wir, ob es sich um Kleinigkeiten handelt. Heute kam der Pflegedienst z.B. nicht – aber Berni hat alles auch alleine hinbekommen. Oder … der Friseur hat den Termin nun zum dritten Mal abgesagt – da habe ich eben Hand angelegt (ob das jetzt eine gute Idee war?…). Für das nächste Mal haben wir nun einen verlässlichen Kontakt bekommen. Zum Spaziergang mit Sabine fing es an wie aus Kübeln zu regnen, aber im Rückblick war es trotzdem schön, sich wenigstens kurz bewegt zu haben.

Ich habe heute außerdem festgestellt, dass ich mir trotz der ernsten Situation, in der wir sind, die Worte eines Arztes mit genügend Abstand anhören kann und in der Lage bin, das Gehörte zu filtern.

Schlaft gut!

Danke …

Es ist wieder soweit!  Danke …

… für die tollen Adventskalender –  Jetzt ist wenigstens das wie immer!…  für die vielen köstlichen Essen, die uns gekocht und seviert wurden…  für die tollen Trauben… für die interassenten Gespräche… für das Aufpassen und Tee kochen,  damit ich losdüsen kann,  um Dinge zu erledigen… für die vielen Geschichten von Euch,  die unsere Welt größer machen… dass Ihr uns zum Lachen bringt… für Eure Ausdauer… für Eure Geduld… dass Ihr mit uns zusammen sein wollt! 

… Durch den heutigen Besuch unserer Hausärztin ist  wieder klar geworden, dass die Betreuung in der Onkologischen- sowie Strahlen-Praxis nicht ausreichend ist. Ich werde jetzt auf regelmäßige Gesprächstermine bestehen. Wieder mal fragen wir uns, was die Menschen in so einer Situation machen, wenn sie Niemanden haben…

Es gibt noch eine weitere Nebenwirkung. Durch das Cortison kommt es inzwischen zu einer deutlichen Schwellung des Gesichts. Die Cortisongaben werden jetzt verringert …

Die ersten Nebenwirkungen…

Die Nebenwirkungen der Chemo und/oder Bestrahlung machen sich langsam bemerkbar: Die ersten Haare fallen (nächste Woche wird der Friseur bei einem Hausbesuch für eine radikale Frisur sorgen), die körperliche Kondition lässt nach (die Treppen werden zu einer Herausforderung), die Leukozyten im Blut sind zur Zeit verringert (daher muss die Chemo erstmal etwas niedriger dosiert werden), es gibt ein wenig Hautprobleme (die sind jedoch noch in den Griff zu bekommen) … Aber Berni ist ganz klar,  wir sprechen zur Zeit viel…  auch über die Krankheit… unsere Zuversicht ist ungebrochen! Das liegt auch an Euch!

Habt einen tollen Tag!

Wieder einiges geschafft…

Berni ist bei ganz klarem Bewußtsein und weiterhin voller Zuversicht…  (bloß die Kondition ist nicht besser geworden). Dazu haben wir wieder ein paar Dinge geschafft,  was sehr erleichtert…

Wir haben eine Logopädin und das notwendige Rezept und können sofort starten…  Das gleiche gilt für die Krankengymnastik…  Der Medizinische Dienst war zur Begutachtung da –  Betreuungsstufe 2 ist uns wenigstens sicher… Wir haben einen Termin am 5.12. mit einer Onkologin aus Hameln in Hannover (Danke Birgit!),  die Methadon verschreiben kann und sogar mit Cannabis arbeitet…

Daneben gibt es ein paar Fragen,  die uns noch bewegen…

Wird der Neurologe, bei dem wir einen Termin für Mitte Dezember haben, die Fäden in die Hand nehmen? Uns fehlt in einigen Punkten die medizinische Betreuung… Langsam formt sich eine Möglichkeit, wie ich wieder arbeiten könnte. Dazu werde ich, wenn ich die letzten Dinge geklärt habe, auch an Euch nochmal herantreten müssen… 

Erstmal gute Nacht für heute!

 

Von Aline…

Eine Kurzgeschichte die ich für mein Seminarfach in der Schule geschrieben habe. Das Thema lautete ‚Unterwegs – wohin?‘. Die Geschichte sollte eigene, aber auch fiktive Aspekte enthalten.

Ein Wunsch um 11:11

Montag, 21:46
Übermüdet streiche ich mir über die schmerzenden Augen. Das stundenlange auf den Computer starren tut mir einfach nicht gut.
Ich nehme mein Handy aus der Jackentasche, während ich zügig zum Aufzug des großen Bürogebäudes gehe.
„Italiener oder Chinese?“, tippe ich, eine kurze Nachricht an Paul, meinen Freund.
Montag, 22:02
Noch immer keine Antwort, also entscheide ich mich kurzerhand für den Italiener ganz in der Nähe unseres Apartments. Die Straßen sind wie leergefegt und überall sehe ich hell erleuchtete Fenster. Ich zittere leicht.
Während ich auf das Essen warte, tippe ich in meinem Handy meine To-Do-Liste für den morgigen Tag. Heute Morgen hat meine Mutter versucht mich zu erreichen, sie muss ich unbedingt zurückrufen. Wichtige Arbeitsemails die beantwortet werden müssen und ich sollte Paul daran erinnern, dass er seinen Anzug zur Reinigung bringt. Den letzten Punkt setze ich leicht genervt auf meine Liste.
Montag, 22:31
Zuhause angekommen esse ich schnell meine Nudeln und erledige meine letzten Aufgaben, wie immer. Paul sitzt auf dem Sofa, schaut fern und tut sonst nichts, wie immer. Unsere Wohnung ist wunderschön, eine Innendesignerin hat die Möbel und Farben ausgesucht, alles passt perfekt zusammen. Trotzdem fühle ich mich hier nicht richtig zuhause, obwohl wir schon seit fünf Jahren hier leben.
Ich habe einen ganz normalen Tag hinter mir. Bin um 6:30 Uhr aufgestanden, habe einen Kaffee getrunken, bin zur Arbeit gefahren, habe oberflächlich mit meinen Kollegen gescherzt und ungefähr zwei Worte mit Paul gewechselt. Die einzige Unregelmäßigkeit ist der Anruf meiner Mutter, normalerweise sprechen wir uns nur an wichtigen Feiertagen und Geburtstagen.
Dienstag, 10:14
„Hallo?“
„Hi, ich bin‘s. Ich habe gesehen, dass du gestern angerufen hast. Ist alles in Ordnung?
„Nein. Ich habe keine guten Nachrichten.“
„Oh, was ist denn los?“
„Dein Vater liegt im Krankenhaus… Es sieht nicht gut aus… Die Ärzte haben einen bösartigen Gehirntumor diagnostiziert…“
„Krebs?!“
„Ja.“
„…“
„…“

Dienstag, 11:13
Zurück zu Hause bei einer Tasse Tee überlege ich, was ich als nächstes tun soll. Ein Berg an Taschentüchern liegt neben mir. Als ich mich etwas gefangen habe, rufe ich meine Chefin an und nehme mir zwei Wochen Urlaub. Sie ist etwas erstaunt. Ich habe noch nie kurzfristig Urlaub genommen. Dann buche ich mir ein Zugticket nach Hannover und fange an meine Tasche zu packen. Es tut gut beschäftigt zu sein.
Dienstag, 15:36
Die Wohnung ist blitzblank. Alle Schränke habe ich aus und wieder ein geräumt, aber mit niemandem gesprochen. Mit wem auch? Die Leute von der Arbeit? Auf keinen Fall. Paul? Seit Ewigkeiten haben wir nicht mehr richtig miteinander gesprochen. Zu meinen alten Schulfreunden habe ich den Kontakt schon vor langer Zeit verloren. Ich kann mich nicht mehr erinnern weshalb, dabei waren wir damals echt gute Freunde. Vielleicht dachte ich, dass sie einfach nicht mehr in mein ‚neues‘ Leben passen. Hatte Paul doch mehr Einfluss auf meine Entscheidungen als gedacht?
Dienstag, 19:43
Jetzt sitze ich im Zug und sehe die Landschaft an mir vorbeifliegen. Wie soll es weitergehen? Wie konnte ich zulassen, dass meine Eltern und ich uns so selten sehen? Ich habe so vieles verpasst. Noch immer frage ich mich, weshalb ich Hannover damals verlassen habe. Für einen Job der mir keinen Spaß macht? Eine ‚bessere Zukunft‘?
Niemals hätte ich gedacht, dass jemand in meinem engsten Kreis tödlich erkrankt. Von so etwas hört man. Liest es in der Zeitung. Aber doch nicht in der Familie.
Mittwoch, 13:53
Ich habe echt Angst die Tür zu Zimmer 238 zu öffnen. Ich weiß nicht genau was mich erwartet. Es ist nur mein Vater, der dort in diesem Zimmer ist. Langsam öffne ich die Tür und bin erleichtert. Eigentlich sieht er genauso aus, wie immer. Am Haaransatz hat er ein großes weißes Pflaster kleben. Wir begrüßen uns mit einer Umarmung. Ich frage ihn, wie es ihm geht. Er lächelt und nickt. Meine Mutter hatte mir schon gesagt, dass er nicht viel spricht. Anscheinend drückt der Tumor auf das Sprachzentrum. Wir unterhalten uns ein bisschen, ich erzähle viel und stelle ‚Ja‘ und ‚Nein‘ Fragen, die er mit einem Kopfschütteln oder Nicken beantwortet.
Samstag, 15:47
Ich bin jeden Tag einige Stunden im Krankenhaus. Diese gemeinsam verbrachte Zeit lässt mich wieder die selbstverständliche Nähe aus meiner Kindheit fühlen. Man hat viel Zeit nachzudenken. Warum bin ich eigentlich noch mit Paul zusammen? Wir haben uns schon seit Ewigkeiten nichts mehr zu sagen. Kurz vor meiner Abfahrt habe ich ihm noch einen kleinen Zettel geschrieben, dass ich zu meiner Mutter fahre. Er hat mich nicht angerufen und ich bin nicht einmal enttäuscht. Eigentlich stört es mich kein bisschen. Bei dem Gedanken mich von ihm zu trennen, fühle ich keine Leere, sondern nur Erleichterung.
Montag, 14:23
Ich sitze in einem Café und schaue auf das Treiben auf der Straße. Ein kleines Kind schreit und ich bin nicht genervt. Dem komplett in rosa gekleideten Mädchen ist ihr Eis heruntergefallen.
Ein großer, leicht schlaksiger Typ in schwarzen Shorts und einem grauen Pullover läuft mit einem breiten Grinsen am Laden vorbei, während er sich mit einem Freund unterhält. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es mir macht, Leute zu beobachten. Zwei Jugendliche umarmen sich zur Begrüßung. Ich lächele vor mich hin.
Mittwoch, 09:15
Ich kann den Anblick des weißen Krankenhauses, mit den Ärzten in weißen Kitteln und den Geruch des Desinfektionsmittels nicht mehr ertragen. Wie viele Stunden habe ich jetzt schon auf diesen ungemütlichen Stühlen verbracht?
Es fühlt sich so an, als ob ich seit Ewigkeiten nicht mehr richtig mit meinem Vater gesprochen habe, obwohl ich ihn in den letzten Tagen täglich gesehen habe. Wird er sich an diese Zeit im Krankenhaus erinnern? Er ist zwar körperlich anwesend und scheint alle Leute, die ihn besuchen, zu erkennen, aber ob er alles versteht, was momentan vor sich geht, weiß ich nicht.
Montag, 11:11
Ich wünsche mir, dass alles gut wird.
Donnerstag, 9:13
Heute beginnt die Bestrahlung und wir alle hoffen, dass sie anschlägt, da der Tumor nicht operabel ist. Mehr als hoffen und Beistand leisten ist momentan nicht möglich. Man fühlt sich hilflos.
Lange Zeit habe ich mich von allem differenziert was mir in irgendeiner Weise Schmerzen verursachen könnte oder kompliziert werden könnte. Habe mein Leben vor mich hingelebt, ohne tiefere Verbindungen einzugehen. Jetzt hat das Chaos mich eingeholt und mich in einigen Aspekten aufgeweckt. Das Leben ist nun einmal nicht einfach, nicht schwarz und weiß.
Samstag, 3:47
Lächelnd laufe ich die dunkle Straße entlang. Nach vielen Jahren habe ich meine besten Freundinnen aus der Schulzeit wieder getroffen. Wir haben uns stundenlang unterhalten, viel gelacht und ein Glas Wein nach dem anderen geleert. Ich bin leicht betrunken. Die Straße glänzt vom Regen und die Schaufenster leuchten hell, obwohl niemand auf der Straße unterwegs ist. Ich bin schon lange nicht mehr so glücklich gewesen. Mir war nicht klar, wie sehr ich das Gefühl von wahrer Freundschaft vermisst habe. Diese wohlige Wärme im tiefsten Inneren.
Sonntag, 21:21
Es langsam geht bergauf, die Bestrahlung scheint erst einmal anzuschlagen, wir wissen aber nicht, was noch alles auf uns zu kommt. Ich bin auf dem Weg wieder zu mir zu finden und suche nach den Dingen, die mich wirklich glücklich machen. Dazu gehören mittlerweile auf jeden Fall auch meine Familie und die Menschen, die mir echte Herzlichkeit zeigen können.

 

Weiterhin besser…

Bernis Kondition ist noch ausbaufähig. Aber wir spazieren schon bis zum Welfengarten und gehen in einem großen Bogen wieder zurück. – Das war schön heute mit Dir Uta! – Dann wird es allerdings recht anstrengend, die Stufen rauf zu kommen.

Geselligkeit ist ebenfalls immer weniger anstrengend. Heute Abend saßen wir wie in alten Zeiten bei einem köstlichen Abendessen – Danke Sonia! – mit mehreren Leuten am Küchentisch. Allerdings geht das noch nicht zu lange…

Berni hat heute auch das erste Mal die Blog-Beiträge komplett durchgelesen – Bisher hatte ich nur kleine Auszüge vorgetragen – Er war zu Tränen gerührt… auch, weil er viele der beschriebenen Dinge im Nebel erlebt hat. Er kann sich nicht an die Angst und die Dramatik erinnern, lediglich an die Zuversicht. Die ist ungebrochen!

Wir möchten, dass die Therapien, die gerade laufen, soweit helfen, dass der Tumor etwas verkleinert werden kann, die Schwellung drumrum zurückgeht, das Wachstum des Tumors zum Stillstand kommt und die Symptome, die dann noch bleiben, möglichst wenig beeinträchtigen. Dazu gehört im günstigsten Fall, dass sich die Gefahr der Epilepsie verringert. Die Strahlenbehandlung sowie Chemo dauert bis zum 19. Dezember an. Nach vier Wochen Pause wird dann über eine CT geklärt, wo wir stehen.

Da es so stetig besser wird, werden wir uns, lediglich für den Fall, dass es nötig wird, weiter um das Thema Methadon kümmern. Ich habe nächste Woche einen Termin bei dem Onkologen in Garbsen. Birgit, Bernds Schwester, kümmert sich um eine Praxis in Hameln – Danke! – und… es gibt noch jemanden in Bielefeld, von dem ich noch eine Rückmeldung erwarte.

Es sind jedoch noch einige Fragen drumrum offen:

Wie kommen wir an ein Rezept für einen Logopäden? Zur Not müssen wir die Behandlung selber bezahlen. … Nächste Woche ist der Termin mit dem Gutachter für die Bestimmung der Pflegestufe. Was wird dabei rauskommen? … Ich habe jetzt schon einige Möglichkeiten für einen Wiedereinstieg bei der Arbeit zusammengetragen. Der Besuch im Büro war ganz toll! Wie soll ich es am besten machen? Wie kann ich jetzt schon planen, wie es in zwei Monaten sein wird? …

Schlaft gut!

In die Zukunft blicken?

Morgens ist es zur Zeit möglich ausführlich mit Berni zu sprechen. Seine Stimme ist klar und der Antrieb im Sprachzentrum ist nicht gestört. Bei dieser Gelegenheit haben wir schon ein wenig angefangen Pläne zu schmieden…

Berni hat den Wunsch geäußert – trotz allem – ein Winterfest zu feiern. Er stellt sich vor, dass er mit vielen Decken mitten im Trubel am Feuer sitzt und zwischendurch kommt mal der eine oder andere vorbei und hält ein kurzes Schwätzchen oder klopft ihm ein wenig auf die Schulter. Eine nette Vorstellung…

Tagsüber war heute einiger Besuch da und ich hatte mich schon gefragt, ob es vielleicht ein bisschen viel war. Aber heute Abend sagte er, dass Eure Zuneigung ihm sehr viel Kraft gibt und ihm hilft diese „Pflaume“ in seinem Kopf in den Griff zu bekommen. Dem ist erstmal nichts hinzuzufügen…

Schlaft gut!